Als selbstständige Mode- und Kostümdesignerin steht das Individuum im Mittelpunkt meiner Arbeit. Denn Schönheit definiert sich meiner Ansicht nach vor allem durch Ausstrahlung, welche durch ein maßgefertigtes Kleidungstück hervorgehoben werden kann. Dieser Blog zeigt nicht nur Shootingbilder sondern auch Making-ofs, Modenschauen, neuste Artikel, Arbeitsprozesse, Arbeiten für andere Label, Spezialanfertigungen etc.

Mittwoch, 11. Mai 2016

Reportage Fashion-Show auf der Extravaganxa März 2016


Hart, aber herzlich 
 
Sexueller Fetischismus - eine Abnormität? „Nein!“, sagt das Hamburger Modelabel Wehmuth und zeigt
auf einer Szene-Party, wie reizvoll die Subkultur ist.


Es ist dunkel. Stockduster. Erwartungsvolles Flüstern, zwischendurch Gejohle. Plötzlich ertönt das Staccato einer Geige, kurz darauf der Wechsel in ein dramatisches Solo. „First there was desire. Then passion. Then suspiction. Jealousy! Anger! Betrayal!“ ruft eine raue, männliche Stimme den Gästen vor dem Laufsteg entgegen. Die Scheinwerfer gehen an. „Roxanne, you don’t have to wear that dress tonight.“ Ein junges Paar führt einen leidenschaftlichen Tango vor, kühl, schnell und doch voller Hingabe. Die Modedesignerin Almuth Wehrle beobachtet hinter der Bühne den Auftritt. Ihre Show. Dann die Ankündigung: „Meine Damen und Herren, Mesdames et Messieurs, Mujeres y Muchachos, bienvenido a Wehmuth Fashionshow al eXtravaganXa Hamburgo.“ Es geht los. 
 
Ungefähr zehn Stunden vorher steht Almuth, mit jeweils zwei Koffern und Kleidersäcken bepackt, irgendwo im Stadtteil Hammerbrook zwischen S Bahnstation und Mittelkanal vor einem Gebäudekomplex. Eigentlich nichts Auffälliges. Ein grauer Kasten mit Flachdach, einem Rolltor und einer Doppeltür, vollgetaggt mit Aufklebern. Das „Klubsen“: ein alternativer Schuppen gegen Monotonie und für mehr Vielfalt. Sie ruft den Veranstalter der „eXtravaganXa“ an. Das beliebte Fetisch- und SM-Event ist seit 1995 fester Bestandteil des Undergrounds. „Hallo, ich stehe jetzt draußen.“ Nach ein paar Sekunden wird das Tor hüfthoch geöffnet und die junge Frau mit den tiefschwarzen, langen Haaren schiebt zuerst ihre Gepäckstücke darunter hindurch, bevor sie sich selbst auf die andere Seite begibt. Ein Mann vom Typ Schrank steht am Ende einer Laderampe. „Hallo“, begrüßt er sie, „schön, dass Du da bist.“ Über einen kurzen Flur geht es direkt in den Hauptsaal: Ein großer Raum mit der Deckenhöhe von mindestens drei Altbauwohnungen. Links eine geschwungene Tribüne aus vier Reihen mit Sitzgelegenheiten und integrierter Bar. Rechts der Dancefloor mit anschließendem Laufsteg und Bühne. Alles in schwarz. Bis auf den Fußboden. Der ist aus blank gelaufenem, hellem Holz. Eine schmale Treppe führt nach oben zu den Räumen. „Spielgelegenheiten“ werden sie auch genannt und umfassen ein offenes Areal mit einzelnen Pavillons, fast schon romantisch dekoriert mit roten Rosen und Ranken. Organzastoff, der um die Zeltstangen drapiert wurde, schafft etwas Privatsphäre. Auf den ersten Blick erscheint die Szenerie lieb und zart. Auf den zweiten Blick steht neben jedem Spielabteil ein Ikea-Beistelltisch mit jeweils einer Flasche Desinfektionsspray, Kondomen und einer Box Kosmetiktaschentücher. Penible Hygiene ist hier eine absolute Notwendigkeit. Auf
den dritten und vorerst letzten Blick lässt sich hinter den stoffverhangenen Bereichen der eigentliche Grund der Aufmachung erahnen: Ein mannshohes Andreaskreuz, Liegen mit Fesseln und unter anderem ein mächtiger, schwarzer Thron warten darauf, ihren Benutzern die Ehre zu erweisen.

Es hat immer mit Macht und Ohnmacht zu tun. Quälen und gequält werden“ 
 
Almuth klärt auf: „Es gibt dominant, devot, masochistisch und sadistisch. Masochismus und Sadismus sind nach zwei berühmten Autoren benannt: Ersterer nach Leopold von Sacher-Masoch, der die Novelle „Venus im Pelz“ geschrieben hat. Masochistisch heißt, dass jemand das ihm zugefügte Leid genießt. Es hat immer mit Macht und Ohnmacht zu tun. Quälen oder gequält werden. Sadismus geht zurück auf Marquis de Sade, dessen Romane sich um Demütigung von anderen Menschen drehen. Der Sadist quält also gerne. Devot ist die freiwillig untergeordnete Rolle. Der oder die Dominante ist der bestimmende Part.“
Backstage werden zuallererst die Outfits auf eine Kleiderstange gehängt und sortiert. „Dragonscales“, die erste große Kollektion des jungen Labels, umfasst Kleider, Tanktops, Catsuits und Korsetts aus unzähligen kleinen, ledernen Drachenschuppen mit einer edlen Lackschicht in Bronze-, Gold- und Rottönen. Die Kleidungsstücke sind mit feinem, schwarzem Mesh unterfüttert.
Kein Latex, kein Gummi, keine Klischeeerfüllung. Dafür sinnliche und pittoreske Kleider, die dem Namen der Veranstaltung in Nichts nachstehen.
Die Models treffen ein. Die Verwandlung beginnt. Make up, Haare, künstliche Fingernägel. Ab jetzt wird sich laufend aus- und angezogen. Lars (
Name geändert) zieht sich nur aus. Er ist heute der Sklave. „Wie schön du betteln kannst. Tu’s nochmal“, befiehlt am späten Abend eine süffisante Stimme und Maleficent, die dunkle Fee, schreitet originalgetreu mit Hörnern und wehendem Umgang auf die Bühne. In den nächsten fünf Minuten laufen keine stereotypischen Fetischkostüme aus Plastikleder und billigem PVC über den Catwalk, sondern liebevolle Einzelanfertigungen mit Niveau. Oder Lars. Der krabbelt, an einer Metallkette angeleint, seiner Herrin hinterher. Die Menge jubelt.
Almuth lässt sich zwischen aufgeklappten Koffern und zerstreuten High Heels auf ein abgewetztes Sofa fallen. Alles hat geklappt. Ein voller Erfolg. Sie stellt sehnsüchtig fest: „Ich hätte jetzt so gerne einen Kaffee!“ Der Wunsch wird ihr erfüllt. Nachdem der müde Punkt überwunden ist, geht’s auf die Tanzfläche. Die Gelassenheit scheint sie wieder zu haben. Währenddessen durchstreift Maleficent, die in Sachen Fetisch ein unbeschriebenes Blatt ist, den Club. Sie sieht ganz normale Menschen. Männer in Smokings, in Lederleggings oder nackt. Sie sieht Frauen in hautengen Latexkleidern, in Korsett oder mit Gasmaske. Der Papst ist übrigens auch da. Und sie lernt Torben (Name geändert) kennen. Er trägt eine „Neunschwänzige Katze“ mit sich. Eine Lederpeitsche. Die beiden unterhalten sich und dunkle Fee bezieht Stellung. Sie ist neugierig. Er auch. Aber sie sei nicht bereit. Er schon. Sie gehen trotzdem nach oben. In einen circa zwei mal zwei Meter großen Holzrahmen ist ein Spinnennetz aus metallenen Ketten gespannt. Die darin stehende Frau presst sich genussvoll mit Rücken und Po gegen das Gerüst. Sie trägt ein aus Spitze gefertigtes Collier.
Sonst nichts. Auf Beckenhöhe kniet ihre Partnerin mit herunter gelassener Hose, leckt sie und spielt mit ihr. Der Dritte daneben, ein Mann in Lederhose und Sonnenbrille, drückt der Stehenden seine flache Hand an den Hals und schlägt der Hockenden auf den nackten Po. Sie stöhnt jedes Mal laut auf. Er greift sich dabei in den Schritt. Torben und Maleficent schauen zu. Ein gewöhnliches Schauspiel in einer Welt voller Verlangen. Respektvoll, einander vertrauend und befreit von der Norm.


Ausgelassen und froh tanzt Almuth in den Morgen, glücklich darüber, dass Wehmuth seinen Platz in diesem besonderen Kreis gefunden hat.




Text: Christiane Mehlig

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